US Open – Finale Zwischenbilanz

7 09 2011

Nick Bollettieri ist ein kleiner Mann, zumal einer von 80 Jahren.  Gut, der Tennisfan, der den Ex-Trainer von André Agassi nur von Bildern kennt, hatte ihn sich ohnehin nie als einen Kerl mit der Statur von Marat Safin (remember?) vorgestellt, aber so von Angesicht zu Angesicht: kann es tatsächlich sein, dass dieser nette, ältere Herr dereinst ein derart berüchtigtes Regiment in Florida geführt hat, ja, immer noch führt, nämlich höchst selbst? Man weiß es nicht, die Quellenlage ist hier eher widersprüchlich. Was man feststellen kann: Nick Bollettieri ist ein Vollprofi, was mit der Herkunft seines Reisepasses zu tun haben mag. Denn nicht jeder, dem sich der nicht akkreditierte Reporter aus Deutschland nähert, reagiert auf harmlose Fragen mit einer geschätzten Antwortlänge von weniger als zwei Minuten aufgeschlossen und professionell. An dieser Stelle will ich keine Namen nennen, aber wenn man auf einen nicht-deutschen, jedoch deutschsprachigen Doppel-Wimbledon-Sieger der letzten Jahre tippt, liegt man sicher nicht falsch.

Aber: zum Glück gibt es Patrik Kühnen. Zum Beispiel. Patrik Kühnen verfolgt jedes Spiel seiner Teilzeit-Pappenheimer aus der Coaches-Box, ob er zur taktischen Spielvorbereitung beiträgt, ist nicht bekannt, wäre aber eine interessante Frage gewesen. Auf die der Daviscup-Captain sicherlich geantwortet hätte. Auf so viele Fragen deutscher Journalisten musste Kühnen aber wohl gar nicht eingehen, zumal das ZDF erst Ende der ersten Woche erahnt hat, dass erstaunlich viele germanische Spielerinnen noch im Bewerb sind. Beim Match von Angelique Kerber gegen Monica Niculescu hat man jedenfalls erstmals einen mit orangefarbenem Mikro bewaffneten Reporter ausgemacht. Als Turnierdirektor von München, ehemaligem Daviscup-Sieger, Doppel-Partner von Boris Becker ist Patrik Kühnen natürlich auch die Diplomatie nicht fremd. Auf meinen zarten Hinweis, dass angesprochene Frau Kerber athletisch noch Luft nach oben hat, konnte man seinem weisen Lächeln ansehen, dass er froh darüber ist, dass sich seine Kollegin Barbara Rittner darum kümmern muss.

Tickets für das große Stadion in der ersten Woche sind ein Luxus – den man nicht braucht. In diesem Jahr hat das Los Partien zusammengewürfelt, die die These von der Ausgeglichenheit des Männertennis ziemlich ad absurdum geführt haben: Federer gegen Sela, Djokovic gegen Berloq, das war kein Must-See-Tennis. Am ehesten noch Nadal gegen Nalbandian, wenn auch nur einen Satz lang. Im Louis Armstrong dagegen die beiden Highlights der ersten Woche: Ferrero schmeißt Monfils raus, und der Geheimfavorit aller Experten, Juan Martin del Potro, verliert ein großartiges Match gegen Gilles Simon im Tie-Break des vierten Satzes.  Petzschners Erstrundensieg gegen Ramos auf Platz 15 hat nicht nur die Deutschen erfreut, sehr wohl aber die Gala von Flo Mayer in der ersten Runde gegen den Franzosen Mannarino. Gut, von Erstrundensiegen wird man in den nächsten Generationen nicht mehr schwärmen, vor allem, wenn Ferrer der deutschen Nummer 1 in Runde Drei früh und schmerzhaft den Zahn gezogen hat.

Damentennis, anybody? Folgendes: es sagt nichts Gutes über den Sport aus, wenn eine Spielerin ein Jahr lang nicht spielt, in Wimbledon bei ihrem ersten Turnier weit kommt, und seither auf Hartplatz kein Spiel verloren hat. It´s Serena´s tournament to loose. Sabine Lisicki: gut, selbstbewusst, aber nicht gut genug. Möglicherweise noch. Andrea Petkovic (und Julia Görges, for that matter): im wirklichen Leben erstaunlich groß gewachsen, quasi die Antithese zum alten Nick. Vom Spiel her beide dynamisch, aber ohne Variation (Petkovic) und nicht mehr so selbstbewusst wie z.B. noch in Stuttgart (Görges).

Von den Damen zum Essen. Kein weiter Weg. Es ist so: bei den Herren gibt es den angesprochenen Nalbandian und Stan Wawrinka aus der Schweiz, die nicht hundertprozentig geschmeidig daherkommen. Das war´s dann aber auch. Bei den Damen können wir ganz oben anfangen, nämlich bei der Nummer 28 des Turniers, und dann gleich auf deren Viertelfinale gegen Pavlutchenkova zu sprechen kommen. Und bei Kerber weitermachen. Was ich nicht verstehe: wenn mir der Herrgott und/oder die genetische Basis meiner Eltern das Talent mitgegeben hat, exzellent auf den gelben Ball zu dreschen, dann muss ich doch bitteschön danach trachten, dass ich meine Hausaufgaben mache und nicht aus Undiszipliniertheit meinen Gegnern von vornherein einen Vorteil einräume. Petkovic, Görges haben das kapiert. Auf der anderen Seite denkt sich Serena natürlich: who fucking cares? I´ll blow them away anyway. Für den Zuschauer gilt: für viel Geld wenig gutes Essen. Das aber in überwältigend vielen Variationen. Der Favorit nach sieben Tagen im National Tennis Center: Pannini Caprese, für schlanke 12 USD ist man dabei. Wareneinsatz: 96 Cent.

Zum Abschluss noch ein Profi: Christopher Russo, die sympathischere Hälfte von „Mike and the Mad Dog“, der Radio-Sport-Show der letzen beiden Dekaden, die es seit nunmehr drei Jahren nicht mehr gibt. Mad Dog labert nun für Sirius, unter anderem auch über Tennis, was Mike immer ein Grauen war. Die zweistündige Live-Schalte vor dem Arthur Ashe Stadium war jedenfalls deutlich unterhaltsamer als das Erstrundenspiel von Maria Scharapowa in eben jenem. Und: unter dem Stichwort „Berührungsangst“ wird man im Duden kein Bild von Mad Dog Chris Russo finden (so der Duden denn Bilder hätte): Interviewfragen werden tendenziell gerne mit dem Arm um die Schulter beantwortet. Wie auf der anderen Seite auch von  Patrick McEnroe, dem kleinen Bruder des großen John. So weit würde Patrik Kühnen natürlich nicht gehen. Zu Recht.

Nick Bollettieri übrigens haben wir nicht interviewt. Das Foto ist aber bildschön geworden.

Jens, der Tennis-Nerd





Murray, die Mutter

25 06 2011

Es ist über die Frauen zu reden. Und Paul Annacone, zum Beispiel.

 

Vorgestern zu Gast in der königlichen Loge zu Wimbledon: die Federers.  Mutti, Vati, Mirka. So muss es, so darf es sein, Mirka hält dem Maestro seit Sidney 2000 das Händchen, letzteres ziert ein Ehering, das Recht, Enthusiasmus vorzutäuschen, hat sie sich redlich erworben. Es spricht für Frau Federer, dass sie selten davon Gebrauch macht. Einen Tag später ein Blick in die Murray-Loge: die Frau Mama ist zugegen, und auch wenn man nicht für viel Geld von eben dieser adoptiert werden möchte, so hat auch Mutter Murray das Tal der Tränen und ungezählte Tenniscourts in Großbritannien durchschritten, bevor sie hier ihren Sohn zurecht bejubelt. Aber was ist mit der bezaubernden Dame zu ihrer Linken (die gemäß Herrn Stach den Andy so toll erdet)?

 

Ohne nun die Suchmaschine unseres Vertrauens bemühen zu wollen: Benedicte. So zumindest die Erinnerung an den Namen jener jungen Dame, die wie aus dem Nichts die Loge der Beckers und Günter Boschs  geteilt hat. How dare she? Kennt Boris keine zwei Monate und darf dann in Ekstase verfallen? Neben Bosch, der Becker über Jahre täglich für mehrere Stunden auf dem Platz traktiert hat? Könnte da bitte irgendjemand eine klare Linie ziehen, eine Probezeit festlegen, nach der eine frische, weibliche Inspiration erst in eine Spielerloge darf? Unvergessen Brooke Shields an der Seite von André Agassi, die zwar so richtig gar keine Ahnung vom Geschehen an der Grundlinie gehabt, den Tränenausbruch aber mit links zustande gebracht hat.

 

Und damit zu Paul Annacone. Diametral das Gegenteil zu Frau Shields. Dennoch irgendwie fehl am Platz, welcher sich in der Loge des Swiss Maestro befindet. Nicht Pauls Schuld, zumal Federer nach der Trennung von Lundgren jahrelang ohne Coach auf der Tour gespielt hat, aber wer als Coach bei fünf Wimbledon-Titeln von Sampras dabei war, muss der denn auch unbedingt bei Federers siebten (hoffentlich) Spalier stehen? Sven Groeneveld, anybody? Hat fast die gesamte Damen-Elite schon betreut, aber ist das großartige Trainer-Spieler Gespann Bergelin-Borg nicht per se authentischer? Natürlich will der Tennisfreund es keinem Spieler verdenken, dass er auf der mühseligen Tour Alliierte sucht, im Zweifelsfall sogar solche, die für sein Spiel von Nutzen sind, aber da müsste es doch in jeder Biographie ein paar Kumpel geben, die dieses Anforderungsprofil erfüllen.

 

Und, Roger, Maestro, ganz im Ernst: Gwen Stefani? Anna Wintour? Really?





Dirk

4 06 2011

Können wir uns darauf einigen, dass Dirk Nowitzki der beste aktive deutsche Sportler ist? Und der am meisten unterschätzte gleich dazu? Dazu hätte es des Kommentars von Christian Zaschke in der heutigen SZ  nicht bedurft, aber gut: wenn das eigene Argument so schön unterstützt wird, gerne mitgenommen.

Neben dem Schalter, von dem keiner weiß, wo er ist, den aber Fußballmannschaften angeblich umlegen können, ist die Verantwortung, die jemand übernimmt, wenn er freiwillig einen Einwurf ausführt, die schlimmstgenutzte Phrase im sportaffinen TV-Programm.  Vermutung: Dirk Nowitzki muss keinen Gedanken daran verschwenden, ob er Verantwortung übernehmen soll, er hat sie einfach.  Ohne ihn geht bei den Mavericks gar nix, zumal an Tagen wie in Game 2 der Finals gegen die Heat, als über weite Strecken herzlich wenig in seinem Spiel funktioniert hat.  Und dann stellt er sich halt bei 90:90 hin und wirft einen Dreier. Und macht am Ende den entscheidenden Korb. Clutch.  Wie hat es Charles Barkley vor ein paar Tagen so schön formuliert: mit einem Dirk-Trikot kann man sich ohne weiteres in einem eher schwarzen Viertel („in the hood“) sehen lassen.

Kurz zurück zu Zaschke: er stellt Dirk in eine Reihe mit Beckenbauer, Schumacher, Becker. Einspruch, vorerst. Deutlich mehr Konkurrenz bei gleichzeitig mehr Aufgaben und Anteilen im Spiel als Beckenbauer; Formel 1: Ressourcenverschwendung, wie Kollege Gaupp das so schön formuliert hat, aber gut, Schumacher hat halt am besten verschwendet. In letztlich einer Randsportart. Bleibt Becker: und da tut sich der Verfasser mit Blick nach Paris schwer. Oder doch nicht. Das große Plus von Tennis und Fußball ist ja der Umstand, dass del Potro und Chang Grand Slam Turniere gewinnen, dass Messi und Weah (erinnert sich jemand?) den Weltfußballer geben können. Fast Chancengleichheit, ungeachtet der körperlichen Konstitution. Im Basketball: naturgemäß not so much. Nicht Dirks Fehler, eh klar.

Druck. Hat Beckenbauer jemals den Druck verspürt, in den letzten Sekunden Freiwürfe versenken zu müssen?  Bei Becker: keine Frage. Unvergessen, obwohl verloren, das ATP-Finale in Hannover, als Becker gegen Sampras in fünf Sätzen im Endspiel verloren hat, aber was war das für ein Akt an Konzentration über vier Stunden lang! Quintessenz: doch kein Einspruch gegen Zaschkes Aufzählung, lediglich gleich eine Reihung: Becker die Eins, aber dann schon Dirk, dann Beckenbauer. Wäre schön, wenn das auch mehr Leute überprüfen könnten als jene, die durch einen glücklichen Umstand Sport1+ empfangen können.





Greatest Sports on Earth

9 05 2011

Schon bei einer internen Umfrage in unserem Team von teilweise sogar beruflich Sportinteressierten und -informierten findet sich dafür keine Mehrheit, dennoch muss es hier und jetzt festgehalten werden: Tennis. Greatest Sports on Earth. Auch Post-Becker. Und als einzige Einschränkung zulässig: Konzentration auf die Männer.

Das sonntägliche Finale in Madrid, besser die Finali, hätten dies alles nicht besser demonstrieren können: Azarenka gegen Kvitova, da war genau das drin, was draufsteht, nämlich durchaus leidenschaftliches Grundliniengebolze, gewürzt mit nicht einmal einer kleinen Prise Spielwitz. Und gewürdigt von einer Kulisse, die an Spiele von 1860 in der Allianz Arena erinnerte. Immer noch deutlich besser als Biathlon, don´t get me wrong.

Was für ein Unterschied aber zum abendlichen Herrenfinale! Djokovic gegen Nadal, da war genau das drin, was draufsteht, nämlich mehr als leidenschaftliches Grundliniengebolze, gewürzt mit beinahe noch weniger Spielwitz, aber in einem Tempo vorgetragen, das nichts anderes als atemberaubend war. Und vor voller Hütte. Die Frage, warum Roger Federer gegen Nadal nicht oder zu selten gewinnen kann, wurde zwar nicht gestellt, aber auch gleich mitbeantwortet: mit einer einhändigen Rückhand ist dies schlicht nur an Sterntagen möglich.

So früh, wie sich Djokovic in den Ball gestellt hat, das kann so nur der Serbe, da passen die Technik und der Treffpunkt perfekt. Söderling und Davidenko wären auch noch Teilzeit-Kandidaten, aber da reicht beim einen die Kraft nicht, während der andere zu schwach aufschlägt. Del Potro fällt auch in diese Kategorie, aber ob da der Körper auf Dauer mitspielt?

Sport1Plus sei es gedankt, dass man das Madrid-Endspiel überhaupt verfolgen konnte, mehr schlecht als recht im Live-Stream, aber der Afficionado nimmt das trotzdem gerne mit. Zu hoffen ist, dass wir in dieser Woche mehr aus Rom zu sehen bekommen.