Nick Bollettieri ist ein kleiner Mann, zumal einer von 80 Jahren. Gut, der Tennisfan, der den Ex-Trainer von André Agassi nur von Bildern kennt, hatte ihn sich ohnehin nie als einen Kerl mit der Statur von Marat Safin (remember?) vorgestellt, aber so von Angesicht zu Angesicht: kann es tatsächlich sein, dass dieser nette, ältere Herr dereinst ein derart berüchtigtes Regiment in Florida geführt hat, ja, immer noch führt, nämlich höchst selbst? Man weiß es nicht, die Quellenlage ist hier eher widersprüchlich. Was man feststellen kann: Nick Bollettieri ist ein Vollprofi, was mit der Herkunft seines Reisepasses zu tun haben mag. Denn nicht jeder, dem sich der nicht akkreditierte Reporter aus Deutschland nähert, reagiert auf harmlose Fragen mit einer geschätzten Antwortlänge von weniger als zwei Minuten aufgeschlossen und professionell. An dieser Stelle will ich keine Namen nennen, aber wenn man auf einen nicht-deutschen, jedoch deutschsprachigen Doppel-Wimbledon-Sieger der letzten Jahre tippt, liegt man sicher nicht falsch.
Aber: zum Glück gibt es Patrik Kühnen. Zum Beispiel. Patrik Kühnen verfolgt jedes Spiel seiner Teilzeit-Pappenheimer aus der Coaches-Box, ob er zur taktischen Spielvorbereitung beiträgt, ist nicht bekannt, wäre aber eine interessante Frage gewesen. Auf die der Daviscup-Captain sicherlich geantwortet hätte. Auf so viele Fragen deutscher Journalisten musste Kühnen aber wohl gar nicht eingehen, zumal das ZDF erst Ende der ersten Woche erahnt hat, dass erstaunlich viele germanische Spielerinnen noch im Bewerb sind. Beim Match von Angelique Kerber gegen Monica Niculescu hat man jedenfalls erstmals einen mit orangefarbenem Mikro bewaffneten Reporter ausgemacht. Als Turnierdirektor von München, ehemaligem Daviscup-Sieger, Doppel-Partner von Boris Becker ist Patrik Kühnen natürlich auch die Diplomatie nicht fremd. Auf meinen zarten Hinweis, dass angesprochene Frau Kerber athletisch noch Luft nach oben hat, konnte man seinem weisen Lächeln ansehen, dass er froh darüber ist, dass sich seine Kollegin Barbara Rittner darum kümmern muss.
Tickets für das große Stadion in der ersten Woche sind ein Luxus – den man nicht braucht. In diesem Jahr hat das Los Partien zusammengewürfelt, die die These von der Ausgeglichenheit des Männertennis ziemlich ad absurdum geführt haben: Federer gegen Sela, Djokovic gegen Berloq, das war kein Must-See-Tennis. Am ehesten noch Nadal gegen Nalbandian, wenn auch nur einen Satz lang. Im Louis Armstrong dagegen die beiden Highlights der ersten Woche: Ferrero schmeißt Monfils raus, und der Geheimfavorit aller Experten, Juan Martin del Potro, verliert ein großartiges Match gegen Gilles Simon im Tie-Break des vierten Satzes. Petzschners Erstrundensieg gegen Ramos auf Platz 15 hat nicht nur die Deutschen erfreut, sehr wohl aber die Gala von Flo Mayer in der ersten Runde gegen den Franzosen Mannarino. Gut, von Erstrundensiegen wird man in den nächsten Generationen nicht mehr schwärmen, vor allem, wenn Ferrer der deutschen Nummer 1 in Runde Drei früh und schmerzhaft den Zahn gezogen hat.
Damentennis, anybody? Folgendes: es sagt nichts Gutes über den Sport aus, wenn eine Spielerin ein Jahr lang nicht spielt, in Wimbledon bei ihrem ersten Turnier weit kommt, und seither auf Hartplatz kein Spiel verloren hat. It´s Serena´s tournament to loose. Sabine Lisicki: gut, selbstbewusst, aber nicht gut genug. Möglicherweise noch. Andrea Petkovic (und Julia Görges, for that matter): im wirklichen Leben erstaunlich groß gewachsen, quasi die Antithese zum alten Nick. Vom Spiel her beide dynamisch, aber ohne Variation (Petkovic) und nicht mehr so selbstbewusst wie z.B. noch in Stuttgart (Görges).
Von den Damen zum Essen. Kein weiter Weg. Es ist so: bei den Herren gibt es den angesprochenen Nalbandian und Stan Wawrinka aus der Schweiz, die nicht hundertprozentig geschmeidig daherkommen. Das war´s dann aber auch. Bei den Damen können wir ganz oben anfangen, nämlich bei der Nummer 28 des Turniers, und dann gleich auf deren Viertelfinale gegen Pavlutchenkova zu sprechen kommen. Und bei Kerber weitermachen. Was ich nicht verstehe: wenn mir der Herrgott und/oder die genetische Basis meiner Eltern das Talent mitgegeben hat, exzellent auf den gelben Ball zu dreschen, dann muss ich doch bitteschön danach trachten, dass ich meine Hausaufgaben mache und nicht aus Undiszipliniertheit meinen Gegnern von vornherein einen Vorteil einräume. Petkovic, Görges haben das kapiert. Auf der anderen Seite denkt sich Serena natürlich: who fucking cares? I´ll blow them away anyway. Für den Zuschauer gilt: für viel Geld wenig gutes Essen. Das aber in überwältigend vielen Variationen. Der Favorit nach sieben Tagen im National Tennis Center: Pannini Caprese, für schlanke 12 USD ist man dabei. Wareneinsatz: 96 Cent.
Zum Abschluss noch ein Profi: Christopher Russo, die sympathischere Hälfte von „Mike and the Mad Dog“, der Radio-Sport-Show der letzen beiden Dekaden, die es seit nunmehr drei Jahren nicht mehr gibt. Mad Dog labert nun für Sirius, unter anderem auch über Tennis, was Mike immer ein Grauen war. Die zweistündige Live-Schalte vor dem Arthur Ashe Stadium war jedenfalls deutlich unterhaltsamer als das Erstrundenspiel von Maria Scharapowa in eben jenem. Und: unter dem Stichwort „Berührungsangst“ wird man im Duden kein Bild von Mad Dog Chris Russo finden (so der Duden denn Bilder hätte): Interviewfragen werden tendenziell gerne mit dem Arm um die Schulter beantwortet. Wie auf der anderen Seite auch von Patrick McEnroe, dem kleinen Bruder des großen John. So weit würde Patrik Kühnen natürlich nicht gehen. Zu Recht.
Nick Bollettieri übrigens haben wir nicht interviewt. Das Foto ist aber bildschön geworden.
Jens, der Tennis-Nerd